Nachruf Prof. em. Dr. Urs Ruf
Prof. Dr. Urs Ruf, Emeritierter Professor für Gymnasialpädagogik, verstorben am 17. September 2025 im Alter von 80 Jahren.
Urs Ruf entwickelte zusammen mit dem Mathematikdidaktiker Peter Gallin aus der Unterrichtspraxis heraus das pädagogisch-didaktische Konzept des Dialogischen Lernens, mit dem er zu internationaler Bekanntheit gelangt ist und das zu vielen Erkenntnissen der aktuellen Lehr-Lernforschung passt. Er war damit auch ein dialogischer Brückenbauer zwischen Unterrichtsforschung und Schulpraxis.
Geboren am 29. Mai 1945 erlangte Urs Ruf 1966 das Primarlehrerpatent des Kantons Solothurn. Von 1966 bis 1972 studierte er an der Universität Zürich Pädagogik, Germanistik und Psychologie. Die Promotion erfolgte 1975 mit der Dissertation «Franz Kafka: Das Dilemma der Söhne». Von 1972 bis 1999 arbeitete Urs Ruf als Hauptlehrer für Deutsch an der Kantonsschule Zürcher Oberland. 1980–1993 wirkte er als Lehrbeauftragter am Real- und Oberschullehrerseminar des Kantons Zürich für fachwissenschaftliche Weiterbildung Deutsch. 1980–1993 war Urs Ruf Mitglied der Arbeitsgruppe Muttersprache der WBZ Luzern, 1985–1997 Mitglied und Präsident der Kerngruppe Deutsch der EDK-Ost. 1993–1999 wirkte Urs Ruf als Lehrbeauftragter für Fachdidaktik Deutsch an der Sekundar- und Fachlehrerausbildung und an der Abteilung Höheres Lehramt Mittelschulen (HLM) der Universität Zürich.
1999 wurde Urs Ruf als Nachfolger von Prof. Dr. Heinrich Keller zum Ausserordentlichen Professor für Mittelschulpädagogik an die Universität Zürich berufen und zum Vorsteher bzw. Direktor der Abteilung «Höheres Lehramt Mittelschulen» (HLM) der Universität Zürich ernannt. Diese Aufgabe nahm er bis 2007 wahr. Unter seiner Führung wurde das HLM, das ursprünglich zu einem überwiegenden Teil durch die Bildungsverwaltung finanziert und gesteuert wurde, 2003 zu einem vollwertigen Institut der Philosophischen Fakultät ausgebaut und 2006 in «Institut für Gymnasial- und Berufspädagogik» (IGB) umbenannt. Urs Ruf war auch die treibende Kraft zur Gründung des Zürcher Hochschulinstituts für Schulpädagogik und Fachdidaktik (ZHSF) im Jahre 2002, das durch die ETHZ, die Pädagogische Hochschule Zürich (PHZH) und die Universität Zürich getragen wurde, und das er als Vorsitzender der Institutsleitung bis 2007 präsidierte. Damit trug er wesentlich dazu bei, dass die Ausbildung von Gymnasiallehrpersonen im Zuge der Neuorganisation der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im Kanton Zürich bei der Universität verblieb und nicht – wie von vielen Akteuren damals intendiert und wie in vielen anderen Kantonen vollzogen – an die Pädagogische Hochschule verlagert wurde, die gleichzeitig mit seinem Amtsantritt 1999 im Kanton Zürich am Entstehen war. Mit dem Verbleib an der Universität war die Abstimmung zwischen der fachwissenschaftlichen und der pädagogisch-didaktischen Ausbildung am besten zu gewährleisten.
Urs Ruf hat sich im Verlauf seines Wirkens als ein international bekannter Vertreter der «Dialogischen Didaktik» profiliert, sowohl mittels seiner Publikationen als auch durch seine Vortragstätigkeit. Das Dialogische Lernen ist ein pädagogisch-didaktisches Konzept, das Urs Ruf zusammen mit Peter Gallin und in langjähriger enger Zusammenarbeit zwischen Praxis und Wissenschaft entwickelt hat. Dabei geht es darum, dass hervorragende Leistungen sowohl auf Seiten der Lehrenden als auch auf Seiten der Lernenden erst dann als solche zur Geltung kommen, wenn sie gegenseitig wahrgenommen und gleichsam situativ neu ausgehandelt werden. Diese Perspektive stützt sich auf sozialphilosophische Grundlagen des Pragmatismus und der Hermeneutik, die als Forschungsprogramm stets sozialwissenschaftlicher Validierung bedürfen, ein Anliegen, das Urs Ruf in den Jahren seiner Forschungstätigkeit an der Universität Zürich forciert umgesetzt hat. Wissenskonstruktion beruht auf Dialog, der schlechte Leistungen nicht lediglich als Defizite wahrnimmt, sondern als Entwicklungspotenzial. Der Kern des dialogischen Lehr-Lern-Konzepts ist auf der Website zum dialogischen Lernen von Urs Ruf und Peter Gallin anschaulich wie folgt beschrieben (http://www.lerndialoge.ch):
«Strukturierendes Element des Unterrichts ist der Dialog zwischen der
- Lehrperson, deren Angebot sich an der Fachlogik und am Lehrplan orientiert,
- und den Schülerinnen und Schülern, die das Angebot der Lehrperson auf je individuelle Weise nutzen.
Hauptaufgabe der Schülerinnen und Schüler ist es, ihre persönliche Nutzung des Angebots möglichst authentisch zu dokumentieren;
Hauptaufgabe der Lehrperson ist es, interessante und Erfolg versprechende Nutzungen des fachlichen Wissens und Könnens in den Schülerarbeiten sichtbar und für die Entwicklung der Lernenden nutzbar zu machen.
Dieses wertschätzende Lernen am Erfolg ermöglicht es auch schwächeren Schülerinnen und Schülern, drei für den Aufbau der Motivation grundlegende Erfahrungen zu machen:
- die Erfahrung der Autonomie (Ich stehe auf eigenen Füssen),
- die Erfahrung der sozialen Eingebundenheit (Meine Lernpartner hören mir zu) und
- die Erfahrung der Kompetenz (Ich mache Fortschritte).»
Daraus ist Urs Rufs unterrichtspraktischer Forschungsschwerpunkt ersichtlich, der ebenso der didaktischen Modellierung in komplexen Lehr-Lernumgebungen wie auch der Evaluierung von Unterricht Beachtung schenkte. Hervorragende Feldkenntnis wie auch internationale Vernetzung, vorwiegend im deutschsprachigen Raum, waren Gewähr dafür, dass seine didaktische und in Fachdidaktik wurzelnde Gymnasialpädagogik sich mit zentralen, wissenschaftlich stufenspezifischen Forschungsfragen befasste.
Urs Ruf lehrte im Rahmen der Ausbildung zum Höheren Lehramt bzw. zum Lehrdiplom. Sein Fokus lag auf der Allgemeinen Didaktik im Hinblick auf den Unterricht an Gymnasien. Sein Konzept des Dialogischen Lernens spiegelte sich auch in seiner praktizierten Dialogischen Didaktik für seine universitären Lehrveranstaltungen. Er führte die betreute Lernplattform ein, um damit die Präsenzveranstaltung und den Austausch via Internet auf produktive Weise miteinander zu verbinden. Neben der einführenden Vorlesung in die Grundlagen der Allgemeinen Didaktik und dem Kolloquium für Diplomkandidatinnen und -kandidaten waren «Theorien, Modelle und Instrumente der Didaktik», das «Schreiben im Unterricht», «Das eigene Lernen verstehen und andere beim Lernen unterstützen» sowie «komplexe Lehr-Lernumgebungen» weitere Schwerpunkte seiner Lehre.
Urs Ruf war auch nach seiner Emeritierung weiterhin als Experte für Dialogisches Lernen tätig. Er war vielgefragter Referent und leitete Schulprojekte in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.
Am 17. September 2025 ist Urs Ruf verstorben. Das Institut für Erziehungswissenschaft und die Universität Zürich gedenken seiner in Ehren und grösster Dankbarkeit. Seine Erkenntnisse und Modelle werden weiterhin in die Weiterentwicklung von Unterrichtsforschung und Unterrichtspraxis einfliessen.
Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich