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Institut für Erziehungswissenschaft

Das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen verstehen

Die didaktische Erarbeitung der globalen Umweltveränderungen im Rahmen des Lehrplans 21

Dissertationsprojekt von Irene Lampert irene.lampert@uzh.ch

 

Zielsetzung und Thema

Zur Beschreibung globaler Umweltveränderungen hat sich das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen (planetary boundaries) von einem Forschungsmodell zu einer wichtigen Gestaltungslinie von Politik entwickelt. Die Aufarbeitung dieses Konzepts für den Unterricht im Rahmen der Leitidee „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ des Lehrplans 21 bietet einen wichtigen Beitrag für das Verstehen der naturwissenschaftlichen Grundlagen globaler Entwicklung und politischer Entscheidungsprozesse.  
Für eine erfolgversprechende Vermittlung sollten konstruktivistischen Annahmen folgend die Alltagsvorstellungen der Lernenden zugrunde gelegt werden. Diese Vorstellungen entwickeln sich in der Regel aus physischen und sozialen Erfahrungen mit unserer Umwelt. Lakoff und Johnson (2008) gehen davon aus, dass wir bei der Imagination von abstrakten Konzepten mittels kognitiven Metaphern auf direkt und gegenständlich erfahrbare Vorstellungen aus unserem Alltag zurückgreifen müssen. In der Kognitionswissenschaft wird dies im theoretischen Konstrukt der Embodied Cognition zusammengefasst. Die genutzten metaphorischen Ausrücke lassen dabei Rückschlüsse auf erfahrungsbasierte Konzepte zu, welche unsere Vorstellungen prägen.
Das übergeordnete Ziel des Dissertationsprojekts ist zu untersuchen, wie zentrale Aspekte des Konzepts der planetaren Belastungsgrenzen für Bildungskontexte im Rahmen des Lehrplans 21 nutzbar gemacht werden können. Hierzu werden Vorstellungen von Wissenschaftler und Schülervorstellungen zum Konzept der planetaren Belastungsgrenzen analysiert, um auf Grundlage der Ergebnisse theoriegeleitet Lernangebote und Leitlinien zur Strukturierung von Vermittlungssituationen im Unterricht zur Leitidee „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ des Lehrplans 21 zu entwickeln. Die Leitfrage lässt sich wie folgt formulieren:
Wie lassen sich zentrale Aspekte der planetaren Belastungsgrenzen erfolgreich vermitteln?
Für die Beantwortung dieser Leitfrage wird das Modell der didaktischen Rekonstruktion als Untersuchungsdesign herangezogen (Duit, Gropengiesser, Kattmann, Parchmann & Komorek, 2012).

Problemstellung und inhaltliche Beschreibung

Das von Rockström et al. im Jahr 2009 entworfene und von Steffen et al. im Jahr 2015 weiter entwickelte Konzept der planetaren Belastungsgrenzen ist ein wissenschaftsbasierter Ansatz zur Beschreibung globaler Umweltveränderungen. Neun planetare Belastungsgrenzen wurden auf der Grundlage erdsystemarer Erkenntnisse identifiziert und formen die Grenzen eines Parameterraums des Erdsystems, in dem die Menschheit sicher agieren kann (vgl. Abb. 1 Konzept der planetaren Belastungsgrenzen).

Konzept der planetaren Belastungsgrenzen nach Steffen et al. (2015)

Abbildung 1: Konzept der planetaren Belastungsgrenzen nach Steffen (2015) 

Die übermäßige Belastung einer planetaren Grenze erhöht das Risiko, gefährliche Schwellenwerte zu überschreiten. Die Schwellenwerte werden aufgrund von Variablen des Erdsystems gesetzt, während es sich bei der Platzierung einer planetaren Grenze um eine normative Entscheidung handelt und der Frage wie viel Risiko man in Kauf nehmen will. Die Überschreitung einer Grenze kann nichtlineare, plötzliche Änderung der Umwelt auf globaler Ebene auslösen. Analysen der planetaren Belastungsgrenzen legen offen, dass in vier von neun Bereichen bereits kritische Grenzen überschritten wurden: bei dem Klimawandel, Landnutzungswandel, der Intaktheit der Biosphäre sowie der biogeochemischen Flüsse. Als weitere Bereiche wurden der Ozonverlust in der Stratosphäre, die Nutzung von Süßwasser, die Ozeanversauerung, sowie die Aerosole in der Atmosphäre und das Auftreten menschengemachter Substanzen (novel entities) identifiziert (Rockström et al., 2009, Steffen et al., 2015). Eine vom Bundesamt für Umwelt BAFU in Auftrag gegeben Studie zeigt, dass die Schweiz durch ihr Wirtschaften die Belastungsgrenzen Biodiversitätsverlust, Klimawandel, Ozeanversauerung und Überdüngung überschreitet (Frischknecht et al., 2016).
Dabei konnten Lampert und Niebert (2018) aufzeigen, dass die Jugendlichen geschlechtergemischt ein sehr hohes Interesse an den durch das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen aufgezeigten globalen Umweltveränderungen zeigen. Doch aufgrund fehlender Handlungsoptionen sehen sich die Lernenden diesen Umweltveränderungen ausgeliefert. Das Dissertationsprojekt will dieser Hilflosigkeit entgegenwirken und den Lernenden mit evidenzbasierten Lernangeboten ein Verstehen des Modells und der Ursachen der Überschreitung einzelner Belastungsgrenzen ermöglichen. Dadurch soll die politische Partizipationsfähigkeit der Lernenden sichergestellt werden.

Fachdidaktische Relevanz 

Das Dissertationsprojekt befasst sich mit einem hochaktuellen und international anerkannten Konzept der Naturwissenschaften und Nachhaltigkeit. Das Konzept mit den neun planetaren Belastungsgrenzen wie Biodiversitätsverlust, Klimawandel, Ozeanversauerung, Landnutzungswandel, Süsswassernutzung, chemische Verschmutzung usw. ermöglicht es erstmals, Umweltveränderungen global und dabei unterschiedliche Disziplinen integriert zu betrachten. Die naturwissenschaftlich interdisziplinären Erkenntnisse aus dem Dissertationsprojekt bieten somit einen besonderen Vorteil für die Ausbildung von zukünftigen Naturwissenschaftslehrpersonen. Die Verbindung zwischen den einzelnen Disziplinen ist im Zusammenhang mit den aktuellen globalen Herausforderungen höchst relevant. Beispielsweise können die erhobenen Konzepte und Denkfiguren von Lernenden und Wissenschaftlern zu zentralen Aspekten des Konzepts der planetaren Belastungsgrenzen fachspezifisch, aber auch fächerübergreifend, wertvolle Impulse für die interdisziplinäre Ausbildung von Naturwissenschaftslehrpersonen geben. Es kann aufgezeigt werden, in welchen naturwissenschaftlichen Bereichen die Lernenden noch nicht über fachlich adäquate Vorstellungen verfügen und welches zusätzliche Wissen nötig ist, um eine Konzeptrestrukturierung im Sinne der Conceptual Change Theorie durch entsprechende Vermittlungssituationen anregen zu können.